Ein verhängnissvoller Brieffreund
Herausarbeitung des Charakters der Rückverbindungen und Ursachen der Verschleierung über die Adresse der Großmutter.
Dieser Satz blieb mir hängen. Ich stand in meiner Wohnung und wusste nicht, wie mir geschah.
War ich wütend, weil ich monatelang durchleuchtet wurde? Von wem? Wer waren die IMs »Pohle« und »Georgie«, die auf mich angesetzt wurden?
War es Erleichterung, weil die Grenzen geöffnet wurden und sich das Ministerium für Staatssicherheit, wie die »Stasi« offziell hieß, in Luft aufgelöst hatte und das Ermittlungs- verfahren gegen mich fallen gelassen wurde?
Vielleicht war ich in Sorge, weil ich nicht wusste, ob es Vergeltungsakte geben würde. Wer sich einmal so nah an mich heranpirscht, tut das möglicherweise mehrmals. Bestimmt war es von allem ein bisschen und ich muss sagen: Ich hatte es kommen sehen.
Immer wieder hegte ich Zweifel, ob ich das, was ich tat, fortführen sollte. Es hatte sich rumgesprochen, wie Pakete durchsucht wurden, und es war nur eine Frage der Zeit, bis man mir auf die Schliche käme.
Wenn ich das 30 Jahre später erzähle, klinge ich wie ein Verbrecher. »Auf die Schliche« kommt man doch eigentlich nur Kriminellen; Mördern, Räubern, Triebtätern.
Aber so muss man es so sagen: Aus Sicht der Regierung war ich kriminell.
Mit 16 befand ich mich in der Blütezeit der Pubertät: Ich fuhr ein Moped, trug tolle Klamotten, war viel mit Freunden unterwegs und genoss die unbeschwerte Zeit, führte ein ganz normales Leben. Mein Vater arbeitete als Ingenieur bei der Post, meine Mutter als Lehrerin, wir hatten nicht viel, aber auch nicht wenig, uns ging es gut. Die sozialistische Indoktrination habe ich zwar wahrgenommen, aber nicht weiter reflektiert. Amerika und der Westen waren ›böse‹, Konzepte wie Kapital, Wohlstand und Freiheit wurden verhöhnt und in der DDR standen wir auf der Seite der ›Guten‹. Mich interessierte das nicht; meine Tage waren vollgepackt mit Hausaufgaben, dem Werkkeller und dem Besuch von Badeseen.
Meine Oma erzählte mir eines Tages, sie habe Kontakt zu einer Bekannten, die einige Jahre vorher in den Westen übergesiedelt war. Sie bot mir an, einen Brief an sie zu schreiben, da sie einen Sohn hatte, der ebenfalls in meinem Alter war. Ich verbrachte gerne Zeit mit meiner Oma, sie hatte ein Funkeln in den Augen und gewann mit ihrer mitreißenden Art Menschen für sich. Ich willigte ein, ein Brieffreund im Ausland, sowas hatten meine Kumpels nicht. Spannend klang das und auch ein bisschen aufregend. Der Brief war schnell geschrieben, ich gab mir nicht besonders viel Mühe. Ein bisschen erzählte ich von meinem Zimmer, dem Zweirad und meinen anderen Freunden, verklebte ihn und übergab ihn meiner Oma, die ihn in die Stadt mitnahm und dort versendete. Ob ich wohl eines Tages eine Antwort erhalten würde?